Maria Stuart – Die Eine oder Keine?

03. April 2024Lisa Gromer

Der Weltfrauentag am 08. März, welcher die Errungenschaften in der Frauenbewegung seit Mitte des 19. Jahrhunderts zelebriert, liegt just hinter uns. Zwar wird die Rolle der Frau sukzessiv gestärkt, während Heidi Klums berühmter Satz im Rahmen von GNTM: „Es kann nur Eine geben“ parallel interfeminine Konkurrenz anheizt. In Carolin Kebekus´ Buch mit dem gleichnamigen Titel betrachtet die Autorin den häufig auftretenden „Zickenkrieg“ unter Frauen als Resultat ihrer Sozialisation und Unterrepräsentanz.

Philipp Arnold fokussiert durch seine Inszenierung von „Maria Stuart“ den Wunschgedanken einer Gesellschaft, durchzogen von feministischer Solidarität und verleiht damit dem Politthriller dennoch eine warme Endnote basierend auf dem Leitgedanken „In unserem Ende ist ein Anbeginn“. Unter diesem Motto stand bereits Arnolds Interpretation von „Dantons Tod“, welche letztes Jahr im Februar am E.T.A. Hoffmann Theater aufgeführt wurde.

Das von Friedrich Schiller verfasste und 1800 uraufgeführte Drama „Maria Stuart“ behandelt einen historischen Stoff: das rivalisierende Verhältnis der Machtinhaberinnen Elisabeth der Ersten, Königin von England (Alina Rank), und Maria Stuart, der schottischen Königin (Ewa Rataj). Konfliktpunkte bestehen auf außenpolitischer, konfessioneller, dynastischer und romantischer Ebene, an erster Stelle steht jedoch der Anspruch auf den englischen Thron. Die bevorstehende Hinrichtung der Queen of Scots liegt schlussendlich in Elisabeths Verantwortung, die sich in Bedrängnis durch ein Netz aus einem intriganten Beraterstab sowie dem beharrlich fordernden Volk befindet. 

Zweifelsohne hat Arnold, Hausregisseur am Münchner Volkstheater, erneut ein in jeglicher Hinsicht formidables Theaterstück kreiert.

Angefangen mit dem Bühnenbild, welches definitiv eine dienende Funktion aufweist, ohne das Stück zu überlagern. Allein der gegensätzliche Unterschied zwischen der Eingangs- und Schlussszene verleiht dem Stück einen spannungsvollen Rahmenschluss. Die überraschende Gestaltung des Endes stellt nämlich eine andere Gesamtdeutung des Stücks in den Vordergrund. Maria und Elisabeth, zunächst abgewandt und durch eine Mauer entzweit, hüpfen schlussendlich ausgelassen, beinahe kindlich-albern, mit Sonnenbrille herum. Symbolisch repräsentiert dies den Wandel in der Beziehung der beiden Hauptfiguren, welche in ein dominantes patriarchalisches System hineingeboren wurden. Final favorisieren die einflussreichen Frauen also Freiheit statt Opposition und betonen eher zweitrangige Ziele wie beispielsweise die eigene Lebensfreude. Das abschließende Lied „Nothing Matters“ von The Last Dinner Party bringt diese Pointe atmosphärisch sehr bewegend herüber. Natürlich stellt das eine in unserer heutigen Zeit oft so rationalen und profitorientierten Leistungsgesellschaft einen angenehmen Impuls dar.

Die dramaturgischen Mittel veranschaulichen grandios den hohen Grad an Fremdbestimmung und -lenkung in dem Leben der beiden Frauen. Dabei wird die Bevormundung der Königinnen durch den männlichen Beraterstab so dargestellt, dass den Frauen meist Text und Regieanweisungen in ein Mikrofon vorgesprochen werden und diese die diktierte Weisung lediglich wie ein Echo wiederholen. Erst später im Stück vollzieht sich ein verfremdender Bruch durch Parodie ausgehend von den beiden Frauen, welcher die Illusion zerstört. Denn die Damen verhalten sich zunehmend konträr zu der angekündigten Handlung, holen mit gesteigertem Sprechtempo ihr Sprachrohr ein oder unterbrechen dieses spöttisch. Dieses Verhalten ist natürlich nicht nur inhaltlich aussagekräftig, sondern erfüllt auch die Funktion der Belustigung.

Die räumliche Konzeption durch die tatsächliche Umzingelung der Königinnen durch ihre Berater verdeutlicht bildhaft deren einnehmende Wirkung und Machtposition. Nach dem altbekannten Engelchen-Teufelchen-Topos wird von allen Seiten kontrovers auf Königin Elisabeth eingewirkt. Die Emanzipation und Souveränität der Herrscherinnen in letzter Instanz, welche durch ihr Umfeld zu Rivalinnen gemacht und systematisch gegeneinander aufgewiegelt wurden, wird ebenfalls räumlich klargestellt, indem zuletzt die männlichen Berater in den Hintergrund verdammt werden, bis das gewünschte Ergebnis: „Jetzt ist kein fremder Mund mehr zwischen uns, Schwester“ erreicht ist.

Neben der passenden Farbwahl ist insbesondere die makellose schauspielerische Leistung hervorzuheben, denn Baron von Burleigh (Daniel Seniuk), Graf von Leicester (Marek Egert), Graf von Shrewsbury (Jeremias Beckford) sowie Mortimer (Leon Tölle) perfektionierten Passagen von Synchronisation und glänzten durch exzellent getimtes Reagieren und messerscharfes Artikulieren während der Stichomythie. Das gleichzeitige Sprechen der Männer wirkt auch auf das Publikum wahnsinnig eindrucksvoll, und verdeutlicht nur einmal mehr, warum sich die Königinnen derer Manipulation auch kaum entziehen können.

Ein hohes Level an Lebendigkeit und Nähe wird durch hologrammartige Projektionen von visuellen Originalaufnahmen im Hintergrund sowie flüsternde Stimmen aus Tonboxen im Publikumsraum hergestellt. Alles in allem wird der Zuschauer einerseits durch den komplexen und verdichteten Inhalt kognitiv gefordert, kann die zwiespältige Einengung der Königinnen damit aktiv nachempfinden und wird andererseits emotional unterhalten sowie angeregt.

„Maria Stuart“ gilt grundsätzlich als kulturell empfehlenswert, da es als wortwörtlich „klassisches“ Werk fester Bestandteil unseres Literaturkanons ist. Aber darüber hinaus kann, wie Arnold beweist, an dem Stück auch zeitgenössischer Bezug hergestellt werden. Ausgehend von der Idee, wir würden aus Sternenstaub derselben Quelle geformt werden, wird auch die immerzu aktuelle ethische Frage nach Schuld und Verantwortung thematisiert. Zudem spekulieren die Königinnen am Ende poetologisch über deren Bedeutung in der Nachwelt, wobei sie selbstbewusst konkludieren: „Wir werden weiterleben“. Dass „Maria Stuart“ mit solch einem Erfolg aufgeführt wird, beweist diese Sentenz und damit auch wieder die Relevanz des Stoffes.

 

Weitere Aufführungstermine sind am 22.03., 23.03., 11.04., 12.04., 13.04., 19.04., 20.04., 17.05., 18.05.

Spieldauer: 1 Stunde 50min, keine Pause

Spielort: Große Bühne

Regie: Philipp Arnold

Bühne und Video: Viktor Reim

Kostüme: Julia Dietrich

Musik: Romain Frequency

Dramaturgie: Petra Schiller

Regieassistenz und Abendspielleitung: Robin Laumeyer

Ausstattungsassistenz: Jiale Zhu

Bildnachweis: 
Martin Kaufhold