Gartenzwerge gegen das System

14. Oktober 2019Anna Hench

Uraufführung „Der Reichskanzler von Atlantis“ von Björn SC Deigner im ETA-Hoffmann-Theater

Mit gefasstem, selbstzufriedenem Blick thront Er über seiner Festung, noch ganz leger, im Morgenmantel und mit Kaffeetasse in der Hand. Er streicht sich über den Pferdeschwanz und das nackte Kinn, nickt zufrieden und verkündet: „Die Grenzen des Reiches sind gewahrt!“ Er - Der Reichskanzler Fürst Burkhard, das Idol verkörpert von Oliver Niemeier. Vom Volk gewählt, natürlich, das so viele Reichsbürger zählt wie sein sparsames Grundstück Quadratmeter. Seine Festung – besser gesagt sein Haus – ist im Grunde genommen nur eine helle Holzwand, deren Schubladen clever genutzten Stauraum und Mobiliar hergeben (Bühne und Kostüme: Nikolaus Frinke). Aber wer will da meckern, auch das Römische Reich hat mal klein angefangen.

Er, der Reichskanzler, steht nicht alleine da, oh nein! Denn die alles lenkende Macht, die fundamentale Ideologie, dieses wahnsinnig machende Jucken im Schädel, steht hinter ihm. Der Geist von Rudolf von Sebottendorf; basierend auf dem realen Okkultist, Astrologe und Antisemit Rudolph Freiherr von Sebottendorf. (Manifestiert hat er sich in Paul Maximilian Pira) Immer altehrwürdig, immer majestätisch, immer tiefgründig. Wobei seine aus Mythos und zusammengeklaubten Fakten gebaute Weltanschauung durchaus ihre Defizite hat, die er besser ganz schnell eigenhändig vernebelt. Sie trüben ihr Gewässer, dass es tief scheine…

Plötzlich fährt der Reichskanzler aus seiner Haut: ein Kothaufen wurde über Nacht auf den Rasen gepflanzt! Das gibt es nicht! Sofort müssen die Reichsgrenzen verteidigt werden. Weder der Nachbarshund, noch Hennoch Kohn - die jüdische Existenz des Helmut Kohl - können hier eindringen, das Deutsche Reich steht stabil! Wobei… so stabil kann es nicht sein, wenn eine einzige Finanzbeamtin - von der BRD GmbH geschickt, natürlich - ausreicht, um es ins Chaos zu stürzen.

Chaos scheint die passende Beschreibung für diesen Abend im Studio des ETA-Hoffmann-Theaters zu sein, denn der so aufgeräumt erscheinenden Reichskanzler wird von Verfolgungswahn zerfressen und ist im Grunde ein bemitleidenswerter Mensch. Albträume plagen ihn, um ein Haar erwürgt er seine Frau, Hennoch Kohn – dieser Judenverschwörer, Vater von Angela Merkel, Gründer der BRD GmbH und sein persönlicher Erzfeind – muss zu Fall gebracht werden. Das kann schon an die Substanz gehen.

Sehr viel Reich gibt es in diesem Stück und sehr viel Wind - um einen psychisch labilen Verschwörungstheoretiker, der im Sandkasten für Erwachsene Kanzler spielen will? Seine esoterisch angehauchte Frau Jutta (Katharina Brenner) ist seine Spielgenossin. Wenn sie nicht mit ihren langen, blonden Haaren durch die arische Ur-Kraft Vril ihrem Mann Weisheit und Erleuchtung einflößt, ist sie die perfekte Hausfrau für einen ordentlich geführten Zwei-Personen-Haushalt. Nazis kommen ihr nicht ins Haus. Sie sind schließlich die „Guten Rechten“! Und wenn man den „Reichsinnenminister“ (Florian Walter) erschießen muss, weil der die gefesselte und geknebelte Finanzbeamtin am liebsten verbrannt (warum nicht gleich vergast?) hätte, dann ist das halt so. Von Sebottendorf ist stolz auf sie.

 

Dramaturgin Victoria Weich bezeichnet das Stück als eine Farce, eine sinnlich erfassbare Karikatur auf der Theaterbühne. Diesen Ansprüchen wird das Stück durchaus gerecht, denn es schafft eine zwar überzeichnete, jedoch ebenso mit Wahrheiten versehene Charakterstudie des Reichskanzlers Burkhard. Die Grenze zwischen Wahrheit und Übertreibung kann hierbei jeder für sich selbst ziehen. Doch Brit Bartkowiaks Inszenierung enthält sich eines abschließenden O-Tons. Sehen wir hier den Versuch politischen Theaters? Ist die rechte Orientierung legitimiert durch die Gegenkraft des Linksradikalismus, worauf die abschließenden Pistolenknalle verweisen? Oder wird der stereotypisierte Reichsbürger lächerlich gemacht, als Fürst Burkhard die Nerven verliert und ohne Sinn und Verstand seinem ärgsten Feind nach dem Leben trachtet?

Es ist unbestreitbar, dass der Abend viel sagen will. Vielleicht hat er sich nur in seinen Argumenten verheddert.

Bildnachweis: 
Copyright: Martin Kaufhold; von links nach rechts: Florian Walter, Katharina Brenner, Marie-Paulina Schendel, Paul Maximilian Pira, Oliver Niemeier