Ich bin doch keine Maschine - Rezension von „Nachspiel: Dritte Halbzeit“

Ich bin doch keine Maschine - Rezension von „Nachspiel: Dritte Halbzeit“

26. Januar 2023Lisa Gromer

Als ob die auratische Präsenz der starren Köpfe lebendige Gestalt annehmen würde. Von diesem Gefühl wurde man beim Betreten des unterirdischen Gewölbes im ETA Hoffmann Theater überströmt. Durch das Beisammensein mit Büsten und Skulpturen mythologischer Wesen und antiker Helden wird die Sphäre von Würde und Erhabenheit komplettiert. Dabei kontrastiert das simple Setting auf kleiner Bühnenfläche gekonnt das dem Stück zugrunde liegende Thema des wahnhaften Beachtungsdranges und frenetischen Lobpreisens von Idealfiguren. Dennoch würde es dem Werk von Marvin Wittiber und Robert Milan Knorr gerecht werden, wortwörtlich mehr Raum zu erhalten.

Die von Requisiten durchstellte Bühne wird schnell in ein Fußballfeld umgewandelt, indem Robert Milan Knorr als der Protagonist im Monodrama einen Fußball um die Hindernisse dribbelt. In „Nachspiel: Dritte Halbzeit“ wird der immense Leistungsdruck professioneller SportlerInnen am exemplarischen Beispiel eines fiktiven erfolgreichen Fußballspielers aufgezeigt. Eindrücklich werden die psychologischen Folgen, vor allem auf das Selbstbild und die Identitätsfindung, durch Streben nach der Verkörperung vollkommener Perfektion beschrieben. Knorr, der selbst eine Vergangenheit als Leistungssportler im Zehnkampf hat, hatte hier die Möglichkeit, seine persönliche Erfahrung einzubinden.

„An einem Helden ist alles verzeihlich, nur nicht die Schwächen“, erkannte Jakob Boßhart, ein Schweizer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. Exakt das ist auch der Anspruch an den Protagonisten. Zum Lebensmittelpunkt wird die Fußballkarriere deklariert, auf die alles untertänig bezogen wird. Der konditionierte Protagonist sucht seine Erfüllung, ja sogar seine Identität per se, in seinen Leistungsergebnissen, als ob dieser Einzelaspekt die Komplexität seines Charakters umfassend widerspiegeln würde.

Im Fortlauf des Stücks steigt die Skepsis hinsichtlich dieser Wertvorstellung sukzessive, die Hybris des anmaßenden Individuums wird mehr und mehr deutlich, sodass die expressive Inszenierung des Helden die Absurdität und Unnatürlichkeit herausstellt. Die andere Seite der Medaille wird dadurch aufgezeigt, dass der Protagonist nach jeglichen sich selbst übertreffenden Erfolgen die ernüchternde Nichtigkeit all dessen realisiert. Die restriktiven Lebensbedingungen hinsichtlich seiner Ernährung, sozialer Beziehungen - insbesondere Liebesbeziehungen - Freizeitgestaltung usw., welcher er primär für die Gunst, wenigstens Aufmerksamkeit, seines leistungsorientierten Vaters zu erspielen versuchte, vergebens. So wird das final zerbrochen-verkrampfte Ich vorgeführt.

Splitterfasernackt, enthüllt in all seiner Naturwüchsigkeit und Authentizität legt der Protagonist in der Dunkelheit die ‚Maske‘ ab und beendet, von Kopf bis Fuß schlammbeschmiert, „perfectly imperfect“ als Sterblicher das Stück. Mit einem resignativen Interpretationsansatz mag das mehrdeutige Ende jedoch auch als Anpassung an die ihn umgebenden statischen Figuren gesehen werden, womit er sich selbst in deren Reihen eingliedert und in Pose zu Stein erstarrt. Auf alle Fälle regt das Stück zum Nachdenken an und illustriert unter Einbeziehung von Intermedialität unterschiedlichster kultureller Bereiche, wie der Mythologie oder der Bibel, den anthropologisch konstanten Zusammenhang der Verherrlichung von Heldenfiguren in der Antike bis zur unmittelbaren Gegenwart. Schlüsselrolle übernimmt dabei das akustische Erzählen des Odysseus Mythos, da auch in „Nachspiel: Dritte Halbzeit“ die asymmetrische Vater-Sohn-Beziehung die Basis der Handlung darstellt. Die Intermedialität zeigt insgesamt nicht nur die Zeitlosigkeit des Themas auf, sondern markiert auch das vielfältige Spektrum an Anwendungsbeispielen.

Die zeitaktuelle Relevanz des Themas erscheint augenfällig, wenn wir uns den Stellenwert von Social Media, Bedeutung von Einzelpersonen aus Sport, Musik, Film etc. und die aufkeimende Sensibilität für Genderkategorien vor Augen rufen. Zudem deutet das Stück mehrmals latent kritisch auf die in diesem Business vermeintlich vorherrschende Unvereinbarkeit von Homosexualität und verabsolutierten Maskulinität hin.

Einem vorsichtigen Umgang mit Ruhm und Heldentum hin oder her, den tosenden Applaus haben sich die Beteiligten dennoch redlich verdient.

Bildnachweis: 
Titelbild: pixabay/sunnivalode97, Foto: ETA Hoffmann Theater / Markus Kortschak

Theaterfreunde aufgepasst! – „Reich des Todes“

Theaterfreunde aufgepasst! – „Reich des Todes“

25. Oktober 2021Quirin Bortenschlager

Seit Anfang Oktober läuft im ETA-Hoffmann-Theater ein neues Stück: „Reich des Todes“ von Rainald Goetz bietet eine dramatische, aber auch ironische Nacherzählung der Geschehnisse des 11. Septembers 2001.

Diesen September jährten sich die Terroranschläge auf das World Trade Center zum zwanzigsten Mal. Diesen folgten zwei Jahrzehnte Krieg im Nahen Osten und Überwachung im eigenen Land, alles unter dem Deckmantel des War on Terror.

Regisseurin Sybille Broll-Pape inszeniert in „Reich des Todes“ die Geschehnisse aus Sicht der Regierung unter dem damaligem Präsidenten George W. Bush. Dabei lässt sie in die tiefen Abgründe der Politik blicken, wenn die Charaktere mit Gelassenheit und völlig ohne Gewissen Überwachung, Krieg oder Folter planen oder mit fadenscheinigen Argumenten vor der Öffentlichkeit rechtfertigen.

Die schauspielerischen Leistungen des Ensembles sind durch die Bank weg fantastisch. Besonders Florian Walters Darstellung des US-Präsidenten ist schon fast erschreckend ähnlich zur lebendigen Vorlage.

Dennoch sollten gerade Theaterneulinge vorsichtig sein: die Sprache ist anspruchsvoll, die Kommas viele und die Punkte selten. Außerdem wird die Handlung über eine stolze Länge von zwei Stunden und fünfzig Minuten erzählt, leider nicht ohne dabei Längen aufzuweisen.

Wer also seinen Duden kennt und etwas Sitzfleisch besitzt, darf sich auf eine spannende und schonungslose Aufarbeitung freuen.

Bildnachweis: 
ETA Hoffmann Theater, Birgit Hupfeld

Vorankündigung: "Woods of Birnam" mit "Searching for William"

Vorankündigung: "Woods of Birnam" mit "Searching for William"

17. Januar 2019Anna Hench

Am 30./31.01. begrüßt das E.T.A-Hoffmann-Theater fünf ganz besondere Gäste. Die Pop-Band „Woods of Birnam“, angeführt von Schauspieler und Musiker Christian Friedel, erobert für zwei Abende die Bühne und verspricht ihrem Publikum einen einzigartigen Konzertabend.

Angesagte Pop- und Rockmusik und altes, heutzutage nicht mehr gesprochenes Englisch miteinander verbinden – das geht doch nicht? Geht eben doch, wie die fünf Musiker unter dem Namen „Woods of Birnam“ mit ihrem zweiten Album „Searching for William“ unter Beweis stellen. Aktuell sind sie deutschland- und europaweit auf Tour, und der Erfolg gibt ihnen Recht!

Das von Christian Friedel schon länger geträumte Konzept, Texte von dem berühmten englischen Dichter aufzuarbeiten und in Liedform zu vertonen, erfuhr 2012 durch die Neuproduktion des „Hamlet“ von Roger Vontobel seine vollständige Entfaltung, als er mit seiner nur ein Jahr zuvor gegründeten Band ans Staatsschauspiel Dresden kam. Vontobel konzipierte darin den Hamlet als eine Figur, die ihre zerrissene innere Gefühlswelt durch Musik ausdrückt, und fand in Friedel und seiner Band den Kern für seine Inszenierung. Mit nur wenig Intervention seitens des Regisseurs war die Band frei, einen Pool von Liedern aus Shakespeares Textvorlage zu konzipieren und zu komponieren, von denen nur ein Bruchteil in die Inszenierung eingebaut wurde. Beide Parteien profitierten reichlich von dieser Zusammenarbeit, denn Vontobels gefeierte Produktion wird ab dem 16.02.2019 im D’Haus (Düsseldorfer Schauspielhaus) zu sehen sein, und „Woods of Birnam“ bündelte ihre entwickelten Songs und brachte „Searching for William“ auf den Markt. Ihr Hit-Song „I’ll Call Thee Hamlet“ war der Titeltrack zu Til Schweigers Film „Honig im Kopf“, der allein in Deutschland über 7 Millionen Zuschauer in die Kinos lockte.

Die Lyrics des Albums sind sämtlich aus Texten des britischen Dichters entnommen, und auch die angedeutete inszenatorische Umsetzung des aufwendigen Konzert-Installationsabends lässt Spannendes vermuten. Was genau die Zuschauer in Bamberg erwartet, wollte Friedel im Interview mit der Redakteurin nicht verraten, jedoch dürfen wir uns auf eine große musikalische Palette und ein lockeres wie peppiges Konzerterlebnis freuen, das auch Interaktionen mit den Zuschauern beinhalten soll. Direkt im Anschluss an das Event besteht die Möglichkeit zum Meet&Greet mit den Künstlern, die um Autogramme bestimmt nicht verlegen sein werden!

WANN?               30. und 31. Januar 2019
WO?                     E.T.A-Hoffmann-Theater, E.T.A.-Hoffmann-Platz 1, 96047 Bamberg
TICKETS?            Ab 10€ spontan an der Theaterkasse, oder unter www.theater.bamberg.de

BAND:
Christian Friedel, Gesang & Klavier
Ludwig Bauer, Klavier & Synthesizer
Christian Grochau, Schlagzeug
Philipp Makolies, Gitarre
Uwe Pasora, Bass

Neugierige sind gerne eingeladen, schon vorab in die Musik von „Woods of Birnam“ reinzuhören; die Musikplattform Spotify führt alle ihre bisher erschienenen Alben.

Empfehlenswert ist außerdem die Website des Dresdner Staatstheaters und des D’Hauses für mehr Hintergrundinformationen zu Roger Vontobels Inszenierung „Hamlet“.

Bildnachweis: 
ETA Hoffmann Theater Bamberg